Warnemünde: Klimanotstand! Und jetzt?


15. Januar 2020

Es ist noch nicht lange her, dass in Rostock der Klimanotstand ausgerufen wurde. Ein symbolischer Akt, mit dem allein kein einziger Baum geschützt wird. Taten mussten folgen. Eine eigenwillige Herangehensweise in Sachen Klimanotstand legt die Rostocker Stadtverwaltung an den Tag. Für etwa 1 Million Euro plant sie auf einer 900 Meter langen Strecke zwischen Westfriedhof und Hanse Hotel in der Warnemünder Parkstraße den Neubau eines getrennten Geh- und Radwegs. Klingt zunächst löblich, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass dafür 110 Bäume im Küstenwald geopfert werden müssen. Im Oktober 2019 hatte Robert Fröhlich vom Amt für Verkehrsanlagen die erarbeitete Vorzugsvariante für den Ausbau im Ortsbeirat vorgestellt und dabei erstmalig über den Aderlass informiert (DWM berichtete). Seitdem brodelt es im Ostseebad.

Wie das Amt für Verkehrsanlagen jetzt mitteilt, liegen sowohl eine gültige Fällgenehmigung als auch ein genehmigter Bescheid der unteren Naturschutzbehörde für die Waldumwandlung vor. Auch seien schon die notwendigen Ausgleichspflanzungen (in der Rostocker Heide) ausgeführt worden. In der Erklärung heißt es zudem, dass bereits ein Unternehmen mit der Abholzung beauftragt wurde. Die Baumfällungen sollen vertragsgerecht bis Ende Februar abgeschlossen sein. Der konkrete Beginn sei derzeit noch in Klärung. Die Ausschreibung der Bauleistungen soll nach jetzigem Planungsstand in der dritten Kalenderwoche 2020 erfolgen.

Das wollen die Warnemünder so nicht hinnehmen: „Wir haben eine Unterschriftensammlung angestoßen und laden heute Mittag um 11.55 Uhr zum Protest vor dem Haus des Bauwesens am Holbeinplatz ein“, sagt Annette Boog. Gemeinsam mit Billy Parczyk vom Umweltausschuss nimmt die Juristin eine stattliche, als Windflüchter gewachsene, Kiefer in der Parkstraße maß. Der Baum hat einen Umfang von etwa 2,50 Metern und ist – mit einem rosa Kreuz markiert – zur Fällung freigegeben. Nicht nachvollziehbar für die beiden Warnemünderinnen. Sie fragen sich, weshalb überhaupt ein dezidierter Radweg hermüsse und warum man nicht auch weiterhin auf den ersten Grundsatz der Straßenverkehrsordnung „Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme“ abstelle. Passiert sei hier nämlich in all den Jahren noch nichts: „Sieben Monate lang ist hier kaum Verkehr und ausschließlich in der wärmeren Jahreszeit steigt das Verkehrsaufkommen – da stimmen doch die Relationen nicht“, schimpft Billy Parczyk. Wenn überhaupt, dann solle man den Radweg in Richtung Straße erweitern. Im Übrigen blieben die eigentlichen Unfallquellen in diesem Bereich bestehen: Zum einen scheren sich die meisten  Strandbesucher beim Queren des Radwegs in Richtung Parkplatz wenig um die kreuzenden Radfahrer und zum anderen müssten Radfahrer ab dem Hanse Hotel auch künftig die Straßenseite wechseln und sich den markierten Fahrstreifen mit Müll- und Lieferfahrzeugen sowie Bussen teilen – gerade für Familien mit Kindern keine angenehme Vorstellung. Die beiden Warnemünderinnen sind sogar der Meinung, dass das Unfallrisiko mit Beschleunigung der Strecke deutlich ansteigen würde.

Und weil es wirklich fünf vor Zwölf ist, stand das Thema gestern erneut auf der Tagesordnung des Ortsbeirats. Mit der städtischen Informationspolitik sei man keinesfalls einverstanden und außerdem sehe man Minimierungspotenzial. Um doch noch Einfluss auf die aktuellen Planungen nehmen zu können hat sich Beiratsmitglied Stephan Porst in das Regelwerk eingearbeitet und gemeinsam mit dem Vorsitzenden Werner Fischer zwei Anträge an die Bürgerschaft vorbereitet. Der eine bezieht sich auf die aktuelle Situation und soll deshalb mit Dringlichkeit eingereicht werden: Bis zum naturschutzrechtlich frühestmöglichen Beginn der Bauarbeiten im Oktober 2020 seien die Fällung auszusetzen. Während des Moratoriums seien Gespräche zur Minimierung der Eingriffe in den Küstenwald zu führen. In der Begründung bezieht man sich auf eine Auflage der Forstbehörde, wonach die Bauarbeiten nur außerhalb der Hauptwanderungszeit von Amphibien stattfinden dürften. Die Bauzeit sei demnach auf das Zeitfenster von Anfang November bis Mitte Februar zu legen. Die Auflage sagt auch aus, dass die Baumfällungen erst unmittelbar vor Verwirklichung der Baumaßnahme erfolgen dürften. Ein zweiter Antrag befasst sich mit der Fortführung des geplanten Geh- und Radwegs bis in die Einmündung Mühlenstraße unter Bürgerbeteiligung.    

Heute Nachmittag soll es im Haus des Bauens und der Umwelt mit dem Ortsbeirat einen weiteren Erörterungstermin geben. Neben den Beiratsmitgliedern Werner Fischer, Jobst Mehlan und Stephan Porst wird auch Billy Parczyk daran teilnehmen. Sollte die Stadtverwaltung einlenken, würde der Dringlichkeitsantrag zurückgezogen.

Einen echten Radweg hat es in der Parkstraße nie gegeben. Es handelte sich schon immer um einen Fußweg, auf dem Radfahrer geduldet werden. Diese Regelung ist so verkehrsrechtlich offenbar nicht zulässig. Schon im Oktober 2014 wurden daraufhin ortseinwärts fahrende Radler ab der Einmündung Groß-Kleiner-Weg auf die Straße geleitet (DWM berichtete). Es hagelte Proteste und kurze Zeit später wurde diese Regelung wieder ausgesetzt. Das Amt für Verkehrsanlagen erhielt den Auftrag eine rechtskonforme Lösung zu erarbeiten. Sechs Varianten waren das Ergebnis der Vorplanungen. Nur die Vorzugsvariante wurde 2016 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Schon zum damaligen Zeitpunkt regte sich Kritik und von den zu opfernden über 100 Bäumen war schon gar keine Rede.


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