OBR vertagt Mittelmolen-Beschluss: undemokratisch oder clever?


11. April 2019

Etwa 200 Besucher versammelten sich am Dienstagabend im großen Konferenzsaal des Warnemünder Technologieparks, um der Ortsbeiratssitzung beizuwohnen. Mit großem Interesse war zu rechnen, ging es doch um DAS große Schlüsselthema, die Beschlussvorlage 2019/BV/4510 über die Zielstellungen bei der Erarbeitung des Entwurfs für den Bebauungsplan Nr. 01.SO.172 „Mittelmole Warnemünde“. Diese soll letztlich als Grundlage für den zu erarbeitenden Bebauungsplan dienen. An gleicher Stelle hatten die Warnemünder vor genau einer Woche eindrucksvoll manifestiert, dass sie mit dem Planungsstand absolut unzufrieden sind (DWM berichtete am 3. April 2019). Die Anwesenden hofften nun auf ein verantwortungsvolles Handeln der gewählten Interessenvertretung.

Schon vor Sitzungsbeginn sorgte der Beiratsvorsitzende, Alexander Prechtel, allerdings für Unmut: Er zitierte aus der Geschäftsordnung der Bürgerschaft und erklärte das Meinungsbekundung, Beifall und Missbilligungen aus dem Publikum nicht gestattet seien. Diese Ansage erregte die schon erhitzten Gemüter noch mehr. Viel stehe schließlich auf dem Spiel und man hatte sich auf einen langen Abend vorbereitet.

Umso weniger war es für das Gros der Anwesenden nachvollziehbar, dass Ortsbeiratsmitglied Jobst Mehlan einen Antrag auf Vertagung der Beschlussvorlage stellte: „Denk ich an Warnemünde bei Tag und in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht…“ Mit dieser Anlehnung an die Nachtgedanken eines großen deutschen Dichters begann der Warnemünder nicht ohne Pathos seine Ausführungen. Er teile die Angst vieler, „dass uns da ein Monstrum auf die Mittelmole gepflastert wird.“ Er sehe sich unter Druck gesetzt, zum einen durch den drohenden Entzug der Fördergelder beim Neubau der Sportschule am Seglerhafen aber auch durch eine Äußerung der stellvertretenden CDU-Fraktionschefin von vor einer Woche: „Was der Ortsbeirat am kommenden Dienstag zur Mittelmole beschließt, dem werden wir uns als CDU in der Bürgerschaft anschließen“. „Es ist nicht fair, sondern sogar äußerst unfair, uns sozusagen ‚die heiße Kartoffel in die Hand zu geben‘.“ Er sprach auch von vielen unpräzisen Formulierungen und „dem Krankheitsbild der literalen Konjunktuvitis“ in der Beschlussvorlage. Es fehle zudem an ganzheitlicher Betrachtung und rechtsverbindlichen Zusagen, „dass die zugesagten Massen und Höhen der Gebäude nicht wieder durch zahlreiche Ausnahmegenehmigungen ausgehebelt werden“. Die kritisierten Punkte seien zu überarbeiten und die neue Beschlussvorlage erneut zur Abstimmung vorzulegen.

Beiratsmitglied Elisabeth Möser reagierte überrascht und hätte sich eine Generaldebatte gewünscht. Eine Gegenrede kam von Helge Bothur: Hauptargument gegen einen Aufschub ist seiner Meinung nach, dass der Ortsbeirat (OBR)  lediglich ein beratendes Organ sei und am Ende die Bürgerschaft entscheide. „Positive Meinungsbilder aus den Ausschüssen bilden aber schon eine etwaige Mehrheit ab und es droht, dass die Bürgerschaft zustimmt. Wir können uns dann hinstellen und sagen: ‚Wir sind es ja nicht gewesen‘.“ Auch Bothur riet dringend zu einer Debatte und wenn sich daraus ein Vertagungsantrag ergäbe – bitteschön. Mit sechs gegen drei Stimmen votierte der Ortsbeirat für eine Vertagung der Beschlussvorlage.

Was folgte, kam einen handfesten Eklat gleich. Etwa die Hälfte der Besucher verließ schimpfend und aufgebracht den Raum. „Indem man den Tagungsordnungspunkt einfach absetzte bzw. eine Entscheidung vertagte, entzog man dem Publikum den Grund, weshalb dieses so zahlreich zur Sitzung erschienen war, und damit auch jegliche Möglichkeit einer Meinungs- oder Willensäußerung“, kritisierte Heiko Schulze, Sprecher der Bürgerinitiative „Alter Fährhafen“. Die Begründung für das Vertagen des Verwaltungsantrages erschien ihm höchst unglaubwürdig. Beiratsmitglied Bothur forderte, die Sitzung aus außergewöhnlichem Grund abzubrechen und stattdessen mit dem Vorraum diskutierenden Menschen in Dialog zu treten, um „zu retten, was noch zu retten ist.“  Nach erneuter Abstimmung wurde dem Antrag Bothurs nicht entsprochen.

Es folgten die Berichte der Ausschüsse Wirtschaft, Umwelt und Struktur zum Thema. Auch hier immer wieder das klare Votum für den Bürgerschaftsbeschluss aus 2014, und zwar in allen zehn Punkten. Eine Aushebelung sei ausdrücklich abzulehnen. „Wer das am 2. April Gesagte ignoriert, handelt entweder aus schwerwiegenden Interessenkonflikten oder aus fehlendem politischen Instinkt“, fasste Mathias Ehlers vom Umweltausschuss zusammen. Er unterstellte dem Vorsitzenden, dass der gewillt sei, gegenüber der Stadtverwaltung klein beizugeben. Diese Art und Weise führe beim Bürger letztlich zu Politikverdrossenheit oder zur Suche nach politischen Alternativen.

Im letzten Drittel der Veranstaltung kam dann doch noch eine ordentliche Diskussion in Gang. Entwarnung zum Sportschulen-Neubau gab es von Seiten des Landessportbundes (LSB): Geschäftsführer Torsten Haverland hatte vorab erklärt, dass eine Vertagung nicht zu Lasten der Sportschule gehe. Er kündigte an, dass man auch auf dem alten Gelände bauen könne. „Die Sportschule wird auch nicht vom Wasser wegziehen. Wir sind derzeit dabei, das ideale Gelände für unsere Belange zu finden“, relativierte Jörn Etzold, Leiter der Sportschule auf der Mittelmole. Der LSB ist Eigentümer der Flächen am Nordende der Mittelmole.

„Mit der Beschlussvorlage ist niemand im Ortsbeirat einverstanden“, bekräftigte auch Prechtel. Aber sie soll nachgebessert und alle „Wischi-Waschi-Dinge“ ausgeräumt werden. „Die Einzigen, die hier ständig Gas geben, sind wir und die mangelnde Bürgerbeteiligung bedauern wir ganz genauso wie Sie.“  Für Beiratsmitglied Mathias Stagat steht fest: „Egal, was wir tun, von irgendeiner Seite hagelt es immer Nackenschläge – das gehört eben zum Geschäft.“ Und nach den Erfahrungen des ehemaligen Rostocker Finanzsenators Dieter Neßelmann sei es in der Bürgerschaft  sehr üblich, dass unausgereifte Anträge zurückgewiesen und Nachbesserungen für eine abstimmungsfähige Vorlage gefordert würden. Der Warnemünder Hansi Richert hatte selbst seit 1990 in verschiedenen Ausschüssen mitgearbeitet und viele Ortsbeiräte begleitet. Er empfindet es als unverhältnismäßig, den Ortsbeirat zu kritisieren: „Es gehört viel Mut, Arbeit und Wollen dazu Warnemünde zu vertreten!“

Die ebenfalls an diesem Abend anwesende Bürgermeisterkandidatin Sybille Bachmann – sie sitzt zudem im Aufsichtsrat des kommunalen Wohnungsunternehmen Wiro – bewertete die Entscheidung des Ortsbeirates auf Vertagung als taktisch sehr clever: „Wenn das Gremium heute abgelehnt hätte, wäre eine Entscheidung getroffen worden und die Bürgerschaft könnte am 15. Mai für die Planung stimmen. Erst jetzt ist überhaupt ein Druck entstanden, dass die Vorlage verändert wird. Insofern war es eine kluge Entscheidung, zu vertagen.“ Interessant sei nun, wie die Vorlage aussieht, die dem Beirat in seiner nächsten Sitzung am 14. Mai zur Entscheidung vorgelegt wird. „Sie haben die harte Kante gezeigt und jetzt muss verändert werden.“

In seinem Schlusswort kündigte Mathias Ehlers vorsorglich an, dass es in Diedrichshagen, Warnemünde und Rostock entschlossene Bürger gäbe, die nicht nur Willens, sondern auch in der Lage seien, ein Bürgerbegehren gegen die angestrebte intensive Wohnbebauung auf der Mittelmole zu initiieren.  

Foto: Taslair


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