IOW-Studie: Die Ostsee am Scheideweg?


04. November 2019

Kann ein effektives Meeresmanagement Klimawandelfolgen so mildern, dass die Ostsee wieder einen guten ökologischen Zustand erreicht? Lassen sich zukünftige Beeinträchtigungen des Tourismus durch Rekord-Blaualgenblüten und andere Extremereignisse abwehren? Ein Team um Meeresphysiker Markus Meier vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) präsentiert jetzt eine Studie, in der verschiedene Szenarien bis 2100 modelliert wurden. Nur im optimistischsten Fall – Nährstoffreduktion durch eine perfekte Umsetzung des Ostsee-Aktionsplans – werden ein guter Umweltzustand erreicht und Extrem-Algenblüten trotz gehäufter Hitzewetterlagen vermieden.

Hohe Nährstoffeinträge sind ein großes ökologisches Problem für die Ostsee. Die Folge: Übermäßiges Phytoplanktonwachstum – insbesondere sommerliche Blaualgenblüten. Absterbende Algenblüten wiederum fördern Sauerstoffmangel im Tiefenwasser, wo nur spezielle Bakterien existieren können, nicht aber höheres Leben wie Muscheln oder Fische.

Obwohl sich alle Anrainerstaaten bereits vor über zehn Jahren im Rahmen des Ostsee-Aktionsplanes auf klar definierte Nährstoffreduktionsziele einigten, erfolgt die Umsetzung schleppend. Der „gute ökologische Zustand“ der Ostsee wird nicht, wie angestrebt, 2021 erreicht. Darüber hinaus mehren sich Studien, die davon ausgehen, dass der Klimawandel die Überdüngungsproblematik noch weiter verschärft.

Ein wichtiger Grund, den guten ökologischen Zustand zu erreichen, ist der hohe Freizeitwert der Ostsee. In der gesamten Ostsee-Region ist der Tourismus für die Wirtschaft von großer Bedeutung. Extremereignisse, wie lang anhaltende extreme Hitzewetterlagen oder ausgedehnte Teppiche giftiger oder stinkender Algen in Strandnähe sind diesbezüglich von hoher Bedeutung. „Bei Zukunftsanalysen von Klimawandelfolgen für die Ostsee wurden derartige Extremereignisse bislang nicht berücksichtigt“, sagt Markus Meier, Klimaexperte am IOW und Leiter der Studie, die jetzt im renommierten Fachjournal „Ambio“ publiziert wurde. Im Fokus seiner Modellierungen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts standen also folgende Fragen: Kann die Ostsee einen guten ökologische Zustand überhaupt noch erreichen? Wenn ja, wann und unter welchen Bedingungen? Und erstmals auch: Wie verändert sich die Wahrscheinlichkeit für Extremereignisse, wie sie u.a. für die Entwicklung der Freizeit- und Tourismuswirtschaft relevant sind? Indikatoren für Extremereignisse waren unter anderem das Auftreten sommerlicher Hitzewellen (ausgedrückt als Anzahl aufeinanderfolgender „tropischer Nächte“ wärmer als 20 °C) sowie dadurch bedingte dauerhaft hohe Oberflächenwasser-Temperaturen (über 18 °C) und Rekord-Blaualgenblüten (Anzahl der Algenblütentage pro Jahr, die jeweils höher sein muss als alle davor beobachteten). Um anhand bereits gemessener Werte die Aussagekraft der Modellierungsergebnisse einschätzen zu können, deckte der Simulationszeitraum die Jahre 1975 bis 2100 ab.

„Die Ostseeregion wird sich nach unseren Berechnungen durch den Klimawandel deutlich verändern“, erläutert Markus Meier die Ergebnisse. Für den Zeitraum 2070 bis 2100 wird man bei hohen Treibhausgaskonzentrationen fast im gesamten Ostseebereich mit sommerlichen, durch tropische Nächte gekennzeichnete Hitzewellen rechnen müssen, die im Schnitt zwei bis drei Wochen dauern und im Extremfall sogar bis zu zwei Monate ununterbrochen anhalten. Diese Veränderungen spiegeln sich auch in den Wassertemperaturen wider, so Meier weiter. So werde die Ostsee zum Ende des Jahrhunderts an der Oberfläche im Mittel um zwei bis drei Grad wärmer sein und sommerliche Oberflächenwassertemperaturen über 18 Grad könnten bis zu einem Monat länger auftreten als heute. „Am Beispiel von Warnemünde zeigen die Modelle schon für die nahe Zukunft bis 2050, dass im Vergleich zum heutigen Klima im Sommer deutlich häufiger neue Rekord-Wassertemperaturen an der Oberfläche auftreten werden“, hebt der Meeresphysiker hervor.

Was auf den ersten Blick wie ein Plus für Ostseebesucher aussieht, gehört jedoch zu den Extremereignissen, die eine Beeinträchtigung des Tourismus zunehmend wahrscheinlich machen. Zum einen fördern derartige Bedingungen generell die Entwicklung von Blaualgenblüten. „Machen wir weiter wie bisher oder erhöht sich die Nährstoffbelastung sogar bei hohen Treibhausgaskonzentrationen, ist die Wahrscheinlichkeit für Extremblaualgenblüten zum Ende des Jahrhunderts um 1000 Prozent erhöht im Vergleich zum heutigen Klima. Und erreichen wir die Umweltziele nicht, muss man mit zahlreichen weiteren negativen Folgen im Ökosystem Ostsee rechnen“, betont Meier. Außerdem sei aus Studien in anderen, vom Klima her eigentlich gemäßigten Regionen bekannt, dass extreme Hitzeereignisse und gehäufte Hitzewellen das Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko signifikant erhöhen. „Bei uns an der Ostsee könnte dies beispielsweise bedeuten, dass Infektionen mit den lebensgefährlichen, Sepsis verursachenden, Vibrio-Bakterien gehäuft auftreten“, erläutert Markus Meier.

„Die Ostsee steht am Scheideweg. Das ist kritisch, bedeutet aber auch, dass wir es immer noch in der Hand haben, wohin sie steuert. Über ein stringentes Meeresmanagement, für das es klare Vorgaben im Aktionsplan gibt, und auch – selbst wenn dies schwieriger ist – über verstärkte Klimaschutz-Anstrengungen können wir die Ostsee dauerhaft als Lebensraum und Reiseziel attraktiv halten“, kommentiert Markus Meier die Studienergebnisse abschließend.

Foto: IOW / K. Beck


| | | |

Kommentieren Sie den Artikel

Name
E-Mail
(wird nicht veröffentlicht)
Kommentar
Sicherheitscode

Ich willige ein, dass DER WARNEMÜNDER die von mir überreichten Informationen und Kontaktdaten dazu verwendet um mit mir anlässlich meiner Kontaktaufnahme in Verbindung zu treten, hierüber zu kommunizieren und meine Anfrage abzuwickeln. Dies gilt insbesondere für die Verwendung der E-Mail-Adresse zum vorgenannten Zweck. Die Datenschutzerklärung kann hier eingesehen werden.*


|