Den langjährigen Fischer Karl-Heinz Ruschau und seine Frau Erna kennt in Warnemünde fast jeder. Täglich drehen der 92-Jährige und seine Frau, die er liebevoll „Ernie“ nennt, ihre Runden durch das Ostseebad. Nachmittags sitzen sie gern auf „ihrer“ Bank am Warnemünder Umgangsbrunnen von Wolfgang Friedrich in der Alexandrinenstraße. Das sind feste Rituale. Irgendwann gehen sie zurück in ihr Häuschen, um zu anderer Zeit erneut herauszukommen.
Jetzt kann man die bekannten Warnemünder auch sehen, wenn sie nicht auf der Bank gegenüber vom Brauerei-Shop Hoppen & Molt sitzen. Auf Vorschlag eines Mitarbeiters der Stadtwerke ziert nun das Konterfei der beiden ein Trafohäuschen nahe des Umgangsbrunnens – direkt dort, wo die Ruschaus wohnen. Gestaltet wurde das Werk von der Künstlergruppe ARTunique, die in Warnemünde bereits zahlreiche ähnliche Projekte umgesetzt hat. „Es müssten schon etwa 50 sein“, schätzt der Gruppenleiter. Die Künstler bleiben dabei anonym – von ihren Namen und Gesichtern erfährt die Öffentlichkeit nichts. „Das wollen wir so“, sagt er. Zu den bekannten Arbeiten der Gruppe zählt auch ein Dauerkartenmotiv für den F.C. Hansa Rostock, wodurch sie zu offiziellen Hansa-Künstlern wurden.
Bei ihren Werken achten die Sprayer stets darauf, dass sich das Motiv farblich in die Umgebung einfügt. „Die beiden fanden es gut, dass wir das gemacht haben“, erinnert sich der ARTunique-Leiter. „Zu Beginn sieht es oft noch etwas wild aus, aber das ist ein langer Prozess.“ Für ein solches Werk werden rund 75 Farbdosen benötigt – viel Vorbereitung und mindestens ein ganzer Arbeitstag vor Ort sind nötig.
Als die Nachbarin heimkommt, die ihre Toreinfahrt für das Künstlerfahrzeug zur Verfügung gestellt hatte, ruft sie voller Bewunderung: „Das sind doch meine Nachbarn!“, weil die Ähnlichkeit unverkennbar ist. Mit diesem Projekt erhält das bekannte Ehepaar bereits zu Lebzeiten ein kleines Denkmal. Wenn sie vorbeiflaniert, können sie sich selbst zuwinken. „Uns gefällt das Bild und dass wir darauf sind“, sagt Karl-Heinz Ruschau, und seine Frau stimmt ihm zu. Stolz stellen sie sich für ein Foto neben ihr jeweiliges Konterfei – zu Freude der Passanten, die dieses seltene Schauspiel bestaunen.
Immer wieder werden die Künstler auf ihre Arbeit angesprochen oder um eine Visitenkarte gebeten, weil andere ebenfalls ein solches Bild in ihrer Stadt wünschen. Zu ihren größten Arbeiten in Warnemünde gehört die Gestaltung des Bahnhofstunnels am S-Bahn-Haltepunkt Werft sowie die Eisbären und andere Zootiere, die über das Ostseebad verteilt sind.
Besonders an diesem Werk ist, dass es ein Stück Ortsgeschichte abbildet: Karl-Heinz Ruschau ist hier geboren und hat den überwiegenden Teil seines Lebens gemeinsam mit seiner Frau Ernie an dieser Adresse verbracht. Er kennt das Ostseebad wie kaum ein anderer, dreht täglich seine Stromrunde, plaudert hier und da – und ist so zu einem lebenden Stück Inventar der sogenannten „Achterreeg“ geworden, wie die Alexandrinenstraße in der hinteren Reihe hinter dem Strom liebevoll genannt wird.
Maria Pistor
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