Ostseeforscher befragen „anrüchige Zeugen“


27. Januar 2022

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Ostsee ist keine Kloake! Sehr viele Klärwerke entlang ihrer Küste sorgen für eine Reinigung der Abwässer und was die Flüsse dann noch in das Binnenmeer tragen, wird stark verdünnt.

Ablagerungen fäkalen Ursprungs lassen sich dennoch in extrem geringen Konzentrationen am Boden der Ostsee nachweisen. Für Geowissenschaftler wie Jérôme Kaiser, Leiter des Biomarker-Labors am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), sind diese „anrüchigen“ Moleküle wertvoll wie Goldstaub. Als „Zeugen im Archiv der Ostsee“ geben sie nämlich Auskunft über das Bevölkerungswachstum und die Entwicklung der Abwasserverschmutzung in den letzten Jahrhunderten.

„Wir bestimmen in den Sedimenten Lipide, die für menschliche Fäkalien, aber auch für Exkremente von landwirtschaftlichen Nutztieren charakteristisch sind“, erläutert Jérôme Kaiser. In einer groß angelegten Studie untersuchte er die Ablagerungen einiger wichtiger Ostsee-Zuflüsse und die Oberflächensedimente in unterschiedlichen Becken der Ostsee auf ihren Fäkal-Lipid-Gehalt hin: „Die Gehalte der Flüsse unterscheiden sich sehr stark. Flüsse, in deren Einzugsgebiet Großstädte liegen oder intensive Nutztierhaltung betrieben wird, zeigen die höchsten Werte.“ Diese Muster fand Kaiser auch in den Oberflächensedimenten der Ostsee: In der Nähe der Mündungen belasteter Flüsse oder dort, wo regelmäßige Strömungen deren Wasser hinleiten, fanden sich die höchsten Werte. Der IOW-Wissenschaftler ist überzeugt: „Diese Methode hat das Potenzial als Indikator für Überdüngung zu dienen“.

Neben der Kenntlichmachung räumlicher Unterschiede gelang es auch, zeitliche Unterschiede herauszuarbeiten: So lag aus dem nördlichen Gotland-Becken (Zentrale Ostsee) Probenmaterial vor. Eine Altersdatierung ordnete die Ablagerungen auf eine Zeitspanne von 1867 bis 2015 ein. In dieser Zeit stieg der Anteil an Fäkalien kontinuierlich an, wobei immer eine Mischung aus menschlichen und Nutztier-Fäkalien vorlag. Die höchsten Anteile an menschlichen Fäkalien traten in den 1950er, den späten 1980er und den 2010er Jahren auf.

Immer zeigten sich auch Parallelen zur Bevölkerungsentwicklung im südöstlichen Ostseeraum. Besonders deutlich waren die Ähnlichkeiten im Raum St. Petersburg.

Für Jérôme Kaiser ergeben sich daraus interessante Möglichkeiten, in noch frühere Zeiten zu schauen: „Wir wissen, dass diese Moleküle recht lange im Sediment stabil bleiben. Wir können sie nutzen, zum Beispiel um mehr Informationen über das Bevölkerungswachstum zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode zu bekommen.“ Und der Demograf Mathias Lerch ergänzt: „Die Fäkal-Lipide ergänzen den Werkzeugkasten, den wir zur Rekonstruktion vergangener Umweltbedingungen zur Verfügung haben, um den Aspekt der Bevölkerungsdynamik. Das erlaubt uns spannende Einblicke in mögliche Wechselwirkungen zwischen Bevölkerung und Umwelt.“

Foto: IOW / K. Beck


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