Die Fronten sind verhärtet, die Stimmung war zum Zerreißen gespannt: Was sich jüngst im Technologiepark Warnemünde bei der Sitzung des Ortsbeirats abspielte, war ein demokratischer Kraftakt – mit bitterem Beigeschmack. Auf der Tagesordnung stand ein Prüfauftrag, eingebracht von CDU, FDP/Unabhängige und Die Linke, der das kommunale Rostocker Wohnungsunternehmen WIRO ermächtigen soll, Verhandlungen über den möglichen Erwerb eines Grundstücks im Landschaftsschutzgebiet Diedrichshäger Land (LSG) aufzunehmen (DWM berichtete).
Was auf den ersten Blick harmlos klingt – „nur Gespräche“, wie der Ortsbeiratsvorsitzende Axel Tolksdorff betonte – entpuppte sich als Zündstoff für einen der emotionalsten Abende, den das Gremium seit Jahren erlebt hat. Viele Bürgerinnen und Bürger drängten sich in den Saal von Laak 5. Und fast alle vereinte ein Ziel: den Erhalt des geschützten Küstenwaldes.
Tolksdorff versuchte zu beschwichtigen. Man wolle lediglich eine Verhandlungsbereitschaft abklopfen; Argumente zur Bebauung würden frühestens im September relevant. „Gespräche können wir nicht verbieten“, so der Vorsitzende. Er kündigte an, „die demokratischen Prozesse moderieren und akzeptieren“ zu wollen.
Doch sein Neutralitätsversuch überzeugte viele nicht – am allerwenigsten seinen Mitstreiter im Ortsbeirat, Stephan Porst: „Der Prüfauftrag ist Augenwischerei“, kritisiert er. „Wenn man nicht bauen will, muss man auch keine Gespräche führen.“ Er warf Tolksdorff mangelnde Neutralität vor und sprach von einem „falschen Spiel“. Besonders irritierend: Ein kurzfristig eingebrachter Änderungsantrag sorgte für zusätzliche Verwirrung. Der betraf plötzlich weitere mögliche Bauflächen, etwa das Gelände am Diedrichshäger Kreisel – ein Areal, das bislang für eine Norma-Ansiedlung zur Disposition stand. „Nach meiner Auffassung ist die Zielstellung klar: Das Landschaftsschutzgebiet soll zerlegt werden – unter Ausnutzung des Überraschungsmoments“, so Porst.
Noch deutlicher wird der langjährige Beiratsvorsitzende Alexander Prechtel. Er spricht von einem Tiefpunkt in 25 Jahren Gremienarbeit und bezeichnete das Verfahren als „Taschenspielertrick“. Der Änderungsantrag sei de facto ein neuer Antrag, der Flächen betreffe, die gar nicht im LSG lägen. Die Wiro könne danach auch Flächen außerhalb des LSG kaufen, „so viel gebraucht würden“. Brisant: Ausgearbeitet wurde der Änderungsantrag von der CDU, eingereicht aber von der AfD. „So viel zum Thema Brandmauer!“, so Prechtel bitter.
Genau wie Porst sieht Prechtel einen Fehler im System: „Wenn man nicht will, dass das Landschaftsschutzgebiet bebaut wird, muss auch nichts geprüft werden.“ Zudem hätten einige Ortsbeiratsmitglieder ganz bewusst die Unwahrheit gesagt, etwa als es darum ging, seit wann das betreffende Areal den Status Landschaftsschutzgebiet hat.
Dass das Vorhaben auch in der Bevölkerung kaum Rückhalt findet, wurde an diesem Abend mehr als deutlich. Zahlreiche Wortmeldungen richteten sich vehement gegen eine Bebauung. „Wenn das jetzt über den Bürgerwillen hinweg geschieht, darf sich niemand wundern, wenn der Ortsbeirat seine Glaubwürdigkeit verliert und als Vertretung Warnemündes nicht mehr für voll genommen wird“, so Alexander Prechtel, der sich im Bau- und Verkehrsausschuss des Ostseebades engagiert.
Annette Boog von der Bürgerinitiative „Rettet den Küstenwald“ bezeichnete den Änderungsantrag als „nicht nachvollziehbar“ und sprach von einem „schleichenden Einstieg in die Aufweichung des Landschaftsschutzes“. Für sie ist das Areal im Diedrichshäger Land nicht weniger als „das Tafelsilber Rostocks“ – ein einzigartiger Naturraum, der ökologisch, klimatisch und kulturell von hohem Wert sei.
Tatsächlich liegen die Hürden für eine Bebauung hoch – vielleicht sogar unüberwindbar. Das rund 35 Hektar große Gelände ist seit 1966 als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Laut Schutzsatzung ist dort einzig landwirtschaftliche Nutzung zulässig. Eine Änderung der Satzung aus wirtschaftlichen Gründen wäre nicht nur politisch heikel, sondern möglicherweise auch rechtswidrig – so die Auffassung der Bürgerinitiative „Erhalt des LSG Diedrichshäger Land“. Man warnt ausdrücklich vor einer Umgehung demokratischer Beschlüsse aus den Jahren 2017 und 2020 – seinerzeit war eine Bebauung ebenfalls klar abgelehnt worden. Die Fläche liege vollständig im LSG; ihre Bebauung wäre nicht nur gesetzlich fragwürdig, sondern widerspräche auch sämtlichen planerischen Notwendigkeiten, denn der Wohnraumbedarf in Rostock sei planerisch bereits gedeckt – ohne Eingriffe in Schutzgebiete.
Der NABU Mecklenburg-Vorpommern e.V. schließt sich dieser Haltung an: Die Fläche sei nicht nur ökologisch wertvoll, sondern auch raumplanerisch für eine Bebauung ungeeignet. Statt weiterer Flächenversiegelung müsse die Stadt auf eine nachhaltige Innenentwicklung setzen – beispielsweise in Arealen wie der „Wüsteney“, die bereits in städtischer Hand seien.
Dass die Debatte erneut geführt wird, obwohl ähnliche Vorstöße 2017 und 2020 bereits am Widerstand von Bürgerschaft und Öffentlichkeit gescheitert waren, sorgt für Frust. „Wir haben damals klar Nein gesagt. Warum müssen wir das jetzt zum dritten Mal durchmachen?“, hinterfragt ein Anwohner. Die Bürgerschaft hatte sich in der Vergangenheit deutlich gegen eine Bebauung des Diedrichshäger Landes positioniert – auch wegen massiver Proteste und über 38.000 gesammelter Unterschriften.
Die Wiederaufnahme des Themas wirkt für viele wie ein Angriff auf die demokratische Verlässlichkeit. „Entscheidungen müssen Gültigkeit haben, solange sich die Faktenlage nicht ändert“, betont die Bürgerinitiative. Alles andere sei politisches Glücksspiel – auf Kosten von Natur, Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
Der Ortsbeirat Warnemünde/Diedrichshagen hat eine Entscheidung letztlich vertagt – ebenso wie zuvor schon der Stadtentwicklungs- und Umweltausschuss sowie der Wirtschafts- und Vergabeausschuss der Rostocker Bürgerschaft. Die Bürgerschaft soll zu dem Thema am 23. Juli beraten. Ob sie dem Antrag folgt, der der Wiro ein offizielles Verhandlungsmandat einräumen würde, bleibt abzuwarten.
Fakt ist: Die Diskussion hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Sie offenbart nicht nur ein tiefes Misstrauen gegenüber Teilen der Lokalpolitik, sondern stellt auch die Frage, wie tragfähig demokratische Prozesse sind, wenn sie wieder und wieder unterwandert zu werden scheinen.
Auch Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger äußert sich zum Vorgang: „Wenn die Bürgerschaft das Thema heute anders sieht als bei früheren Beschlüssen, muss sie einen Beschluss fassen. Für mich ist das vor allem eine politische Frage“, so das Stadtoberhaupt. Kröger räumt ein, dass die Fachämter eine sehr kritische Haltung zu einer Bebauung des LSG haben „Natürlich wäre es dann bitter, wenn ein fremder Investor das Grundstück kauft und im politischen Raum anschließend Mehrheiten für eine Bebauung hätte.“ Was sie allerdings nicht sinnvoll fände, sei ein Ankauf der Wiro, wenn dort nicht gebaut werden soll.
Das Diedrichshäger Land gilt als Frischluftschneise für den Rostocker Nordwesten, als Biotop für über 130 geschützte Arten, als Rastplatz für Zugvögel und nicht zuletzt als Erholungsraum für Tausende. Es gehört zur „World Database on Protected Areas“ – ein Titel, auf den eine Stadt wie Rostock stolz sein sollte.
Um dem Bürgerwillen noch einmal öffentlich Nachdruck zu verleihen, hat Sebastian Röhner von der Bürgerinitiative für den Erhalt des Landschaftsschutzgebietes Diedrichshäger Land mittlerweile eine Online-Petition gestartet. Ziel ist es, erneut breite Unterstützung aus der Bevölkerung zu mobilisieren und den politischen Entscheidungsträgern ein klares Signal zu senden.
Wohnraumschaffung ist wichtig – aber nicht um jeden Preis. Wer über Jahrzehnte gewachsene Schutzräume zur Disposition stellt, riskiert nicht nur ökologische Schäden, sondern auch den Verlust politischen Vertrauens. Der Bürgerwille ist klar – die demokratische Verantwortung, ihn zu achten, liegt nun bei der Bürgerschaft.
Am Mittwochabend hat die Rostocker Bürgerschaft den Weg für Verhandlungen zum Diedrichshäger Land freigemacht. Damit folgt die Stadtvertretung dem gemeinsamen Antrag von CDU, Linke und FDP – ein Vorhaben, das als umstritten gilt.
Nach dem Beschluss sollen nun Gespräche zwischen der kommunalen Wohnungsgesellschaft Wiro und der Ostsee-Golf-Resort Entwicklungs-GmbH starten. Ziel ist es, bis zur nächsten Bürgerschaftssitzung im September Ergebnisse sowie eine Stellungnahme der Wiro vorzulegen.
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Der Ortsbeirat sollte sich einmal um die Entwicklung vorhandener Bebauter Flächen kümmern anstatt Investoren geschützte Flächen zum Fraß vorzuwerfen. Was ist z.b mit dem ehemaligen Hanse Hotel. Stillstand ! Der Ortseingang Warnemünde.Stillstand ! Die Mittelmole.Stillstand! Manchmal liegen die Lösungen für neuen Wohnraum und Entwicklung direkt vor der Tür und sind vereinbar mit dem Naturschutz. Aber leider hat die Politik aus den Fehlern der Vergangenheit nicht gelernt. Sehr schlimm für Touristen und Einheimische.