Für den Leiter des Infozentrums der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, DGzRS, in Warnemünde, Jörg Westphal, war der 14tägige freiwillige Einsatz auf der griechischen Insel Lesbos eine Erfahrung fürs Leben. Zwei Wochen lang war er Teil einer 12köpfigen Crew an Bord des Seenotrettungskreuzers Minden inmitten des Flüchtlingsgeschehens. Seit Anfang März ist das Schiff in Mytilini, südlich der Ägäis-Insel Lesbos, der griechischen Küstenwache unterstellt, im Hilfseinsatz. Die Mannschaften wechseln wöchentlich. „Wir haben ein perfekt vorbereitetes Schiff vorgefunden, alle Rettungs- und Bergungsszenarien waren optimal vorbereitet“, lobt Jörg Westphal die Vorgänger-Crews an Bord der Minden.
Nach einer anfänglichen Einweisung und Reviererkundungsfahrten dann das erste Flüchtlingsboot: ein, mit etwa 80 Menschen an Bord, hoffnungslos überfülltes Schlauchboot. Präzise wie ein Uhrwerk läuft jetzt alles Hand in Hand und von den zwölf Mann an Bord wird jeder einzelne an irgendeiner Position auch gebraucht. Den Erstkontakt stellen die Rettungsschwimmer der Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, DLRG, her. Mit ihrem Vollkunststoffboot Nivea holen sie erste Informationen von Seiten der Flüchtlinge ein. „Dann lassen wir unser Tochterboot zu Wasser und am Heck des Kreuzers wird stattdessen ein aufblasbarer Rettungssteg befestigt. Der Kreuzer dreht bei und das große Umsteigen beginnt“, gibt der Seenotretter seine Erlebnisse wieder. „Es ist immer wieder unglaublich, wie vollgestapelt die Boote sind. Einer sich aufblätternden Blume kommen immer mehr Menschen zum Vorschein, in der Mitte sitzen dann die Frauen und Kinder.“ Werden klare Ansagen erteilt, läuft alles sehr strukturiert ab: „Frauen und Kinder unter Deck zum Aufwärmen, Männer und Frauen ohne Kinder nach vorn!“ Die wenigen Habseligkeiten – oft passt ein ganzes Leben in eine nur kleine Tasche – werden meist bereitwillig abgegeben; sie finden auf dem Tochterboot Platz und werden an Land wieder ausgeteilt. „Im Norden der Insel befindet sich eine Art ‚Friedhof der Rettungswesten‘, ein beklemmender Ort“, berichtet Westphal weiter. Auf einer dieser Rettungswesten steht geschrieben „Wenn eine Mutter glaubt, ihr Kind sei an Land sicherer, wird sie nicht mit ihm in ein Boot steigen.“ Oft sind die Westen mit Papier oder Bauschaum gefüllt, einige Männer sind sogar mit Autoreifen um den Leib unterwegs.
Insgesamt 207 Menschen von drei Booten konnte die Besatzung der Minden während der Wachzeit des Warnemünder Seenotretters aus Gefahrensituationen befreien. Gestorben ist währenddessen glücklicherweise niemand und es gab auch keine schweren Verletzungen. Die meisten Geretteten sind einfach nur erschöpft, durstig und durchgefroren. 95 Prozent von ihnen waren noch nie auf dem Wasser und können gar nicht schwimmen. „Sind die Menschen erstmal bei uns an Bord steht in ihren Augen große Dankbarkeit und auch Angst geschrieben: ‚Wo bringt ihr uns hin? ‘ Oft hört man ‚Bringt ihr uns zurück in die Türkei, springen wir über Bord‘“ Die Deutschen Seenotretter bringen die Flüchtenden nicht in die Türkei, sondern an die Küste Griechenlands. „Wir haben einen festen Anlaufpunkt im Hafen von Mytilini. Dort werden sie von Hilfsorganisationen und Ärzte ohne Grenzen in Empfang genommen.“ Dann ist ihr Schicksal ungewiss. Seit dem 4. April laufen die im so genannten Flüchtlingspakt vereinbarten Rückführungen.
Jörg Westphal möchte die gemachten Erfahrungen im Ägäischen Meer nicht missen und würde jederzeit wieder runter fahren, um Menschen zu helfen. Ein Küsschen auf die Wange als Dank von einem kleinen syrischen Jungen wird ihm ewig in Erinnerung bleiben.
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