Oskar rettet das Weihnachtsfest


19. Dezember 2013

Eine Warnemünder Weihnachtsgeschichte ‒ vom Weihnachtsmann selbst geschrieben.

Unsere Nachbarn in der Nummer 9 hatten schon immer einen Kater. Oder wenigstens eine Katze. Jedenfalls, so lange wir hier in der Parkstraße 8 wohnen. Nachdem Tiger, ein wunderschöner braun getigerter und schon mächtig in die Jahre gekommener Kater sich eines schönen Tages auf leisen Sohlen auf den Weg in den Katzenhimmel gemacht hat, machte sich große Traurigkeit in unseren Häusern breit. Alle hatten Tiger liebgewonnen, der oft, wie ein guter alter Freund, vor der Türe stand und miauend Einlaß begehrte.

Während Tiger schon seit einigen Wochen im Katzenhimmel herum schnurrte und Hansi und Billy, unsere Nachbarn aus der 9 noch immer die eine oder andere Träne der Erinnerung aus ihren Augenwinkeln wischten, tauchte plötzlich Oskar auf. Seine vier Füße steckten in weißen Socken. Das weiße Halsband und ein ebenso leuchtender Latz, der in eine Linie auslief und wie ein Reißverschluß den Bauch in eine linke und einer rechte Hälfte teilte, hoben sich deutlich vom ansonsten pechschwarzen Fell ab. Oskar, der Kater, zog als neuer Mitbewohner in die Wohnung über Hansi und Billy ein. Hier wohnten die Lausbuben Niklas und Michel, die Enkel der beiden. Sie schlossen ihren drolligen Spielkameraden sofort ins Herz, war er doch genauso ein Wirbelwind wie die beiden – ganz wie es das alte Sprichwort sagt: Frech wie Oskar.

Es dauerte nicht lange, und Oskar wurde die Wohnung als „Jagdrevier“ zu klein. Er strich durch die Gärten der Umgebung, legte sich auf die Lauer und schnappte nach unvorsichtigen Vögeln, trägen Schmetterlingen und Blütennektar sammelnden Bienen. Manchmal konnten wir von unserem Balkon beobachten, wie er sich flach ins Gras duckte und seinen Blick auf etwas konzentrierte, was wir nicht erkennen konnten, um dann plötzlich fast meterhoch emporzuschnellen und mit den Pfoten nach etwas Unsichtbarem zu schlagen. Oder er spielte über den ganzen Hof „Fange“ mit Zwergi, dem Zwergdackel der Familie über uns.

Zu hören war Oskar allerdings höchst selten. Man könnte ihn auch als wortkarg bezeichnen. Doch wenn er rief, war er eindeutig zu erkennen. Denn statt wie alle anderen Katzen zu miauen, war von ihm stets nur ein dünnes „Miiii“ zu hören. Vielleicht hatte er seiner Mutter nicht richtig zugehört. Viel wahrscheinlicher hatte er aber schnell mitbekommen, daß in der Familie von Niklas und Michel sowohl deutsch als auch italienisch gesprochen wurde. Und so bekam er einfach irgendwann Lust, auch italienisch zu reden. Seine anderen Artgenossen in der Umgebung riefen immer „Miau“. Das musste Katzendeutsch sein. Nach einigen Versuchen, die ihm nicht so gut gefielen, entschied er sich endlich, das „au“ wegzulassen und fortan „Miii“ als Katzenitalienisch zu benutzen.

Am Abend eines grauen kalten Herbsttages bemerkten wir eine große Unruhe im Garten der Parkstraße 9. Oskar reagierte nicht wie gewohnt auf die Rufe seiner Familie. Schon eine ganze Zeit nicht! Ihm wird doch hoffentlich nichts passiert sein? So ganz ungefährlich war das freie Herumstromern ja nicht. Schließlich lag das Haus direkt an einer stark befahrenen Straße, auf der schon etliche Tiere zu Schaden gekommen waren.

Die Tage verstrichen. Die Suche nach dem weißgestiefelten Kater hielt die gesamte Nachbarschaft in Atem. Die Hoffnung wurde nie ganz aufgegeben, ihn bald lebendig wiederzusehen. Doch mit jedem Hereinbrechen der Nacht wurde sie ein wenig zerbrechlicher.

Ein weiterer gruselig dunkler Novembertag brach an. Billy war gerade aufgestanden und schlich noch mit Schlafsand in den halbverschlossenen Augen durch die dunkle Wohnung. Plötzlich ließ sich ein dünnes „Miii“ vernehmen. Billy meinte zu träumen. Sie hielt in ihrem Schritt inne und lauschte. Da, wieder: „Miii“! Das kann doch nicht sein, schoß ihr durch den Kopf. Kommt das Geräusch nicht vom Balkon auf der Straßenseite? Dort wo Tiger sich früher bemerkbar machte, wenn er nach ausgedehnten Streifzügen durch das nächtliche Warnemünde sein Frühstück einforderte? Hansi hatte, als Tiger in die Tage kam und es mit dem Klettern gar nicht mehr so gut klappen wollte, ein Brett mit Querleisten versehen und an den Baum vor dem Balkon gelehnt. So konnte der greise Kater mit seinen lahmen Hüften immer noch aus eigener Kraft seinen gewohnten Pfad erklimmen und seinen Happen einfordern.

Billy schlurfte, nun mit hellwachen Augen und Ohren, hin zur anderen Seite der Wohnung und warf einen Blick durch die Scheiben. Neiin.....Jaaaa.... da saß ja Oskar! Aber wie war er zugerichtet? Zerzaust, blutverkrustet, die Ohren eingerissen, abgemagert und sichtbar am Ende seiner Kräfte. Die Balkontür flog wie von selbst auf, und ungeachtet der herbstlichen Temperaturen trat Billy nach draußen, nahm den armen Kerl auf den Arm und trug ihn nach drinnen in die warme Stube.

In Windeseile verbreitete sich die Nachricht im Haus. Niklas, Michel und ihre Eltern trauten ihren Augen kaum, als sie ihren geliebten Oskar lebendig, wenn auch arg mitgenommen auf der kuscheligen Decke in der Küche der Großeltern entdeckten. „Miii“ begrüßte er sie und begann zufrieden, sich das Fell zu lecken. Die beiden Jungs waren ganz außer sich vor Freude und tanzten ausgelassen durch die große Wohnung.

Doch was war geschehen? Wo hat der weißgestiefelte Kater gesteckt und wer hat ihm so übel mitgespielt? Das lassen wir ihn mal selbst erzählen:

Ich bin Oskar. So nennt mich jedenfalls meine Menschenfamilie, seit ich denken kann. Es gefällt mir gut, wo ich wohne. Den ganzen Tag kann ich draußen herumstromern, kriege lecker Futter und meine Streicheleinheiten, wenn ich nach Hause komme. Oh ja, das Leben ist so schön und ich mag meine Familie – die Jungen hier oben genauso wie die Alten unten im Haus.

Es könnte noch schöner sein, wenn dieser hochnäsige, fette Kater nicht wäre, der im Moor sein Unwesen treibt, mich immer Dreikäsehoch nennt und sich über meine Aussprache lustig macht. Gut, es ist sein Revier, in dem ich manchmal nach leckeren Mäusen jage. Aber was kann ich denn dafür, wenn die da rein rennen? Da sind doch eh schon genug, die schafft der Dicke mit seinem viereckigen Schädel ja gar nicht alle.

Egal. Was ich eigentlich erzählen wollte – vor ein paar Tagen erschnupperte ich einen feinen, merkwürdigen Geruch im Haus. Die Menschen merkten davon nichts. Irgendwie scheinen die sowieso kaum was zu riechen. Stellt Euch vor, die können nicht mal eine Maus im Mauseloch riechen, müssen sie erst sehen um zu wissen, daß sie da ist. Na ja, niemand ist vollkommen. Dafür haben sie ja mich.

Jedenfalls war da dieser Geruch und der ging auch nicht weg, wenn die Fenster offen standen. Schnuppernd zog ich durchs ganze Haus. Eher zufällig vernahm ich, wie die Großeltern in ihrer Küche sitzend leise über etwas sprachen, das wie „Prankenmaus“ und „Weihnachten“ klang. „Prankenmaus“? Ist das etwa eine besonders große, leckere Maus? Von der Vorstellung lief mir schon das Wasser im Maul zusammen. Und Weihnachten hatte ich ja schon mal erlebt. Da gibt es lauter Leckereien zu naschen.

Dann bemerkte ich jedoch, wie der Großvater ganz bedreppelt und mit traurigem Blick über den Tisch gebeugt saß, während die Großmutter ihm zärtlich über die Hände strich. Ja, hier war der Geruch besonders stark. Also, nicht so doll, kein Gestank, aber gut zu riechen. Und wieder hörte ich „Du mußt ins Prankenmaus“. Ahhhhhhhh, endlich begriff ich! Der Großvater sollte von der Prankenmaus gefressen werden und fürchtete sich. So roch also Furcht.

Ich hatte genug gehört und brauchte gar nicht lange zu überlegen – ich würde es nicht zulassen, daß Großvater der Prankenmaus in die schmutzigen Pranken fiel! Wo doch bald Weihnachten war. Flugs machte ich mich durch einen Spalt in der Tür auf den Weg nach draußen. Wo sollte ich anfangen zu suchen? Erst mal im Garten. Dann bei den Nachbarn..... Immer größer zogen sich die Kreise meiner Suche, bis ich das Moor erreichte – und mir der vierschrötige Kater den Weg versperrte. „Hey, scher Dich weg aus meinem Revier, du Dreikäsehoch. Ich habe Dich gewarnt, wenn Dir Dein Fell was wert ist, mach Dich auf die Pfoten, sonst werde ich es Dir mal richtig versohlen!“

„Du kannst mir keine Angst machen! Und ich muß hier durch, die Prankenmaus fangen, die unseren Großvater fressen will.“ antwortete ich tapfer, auch wenn mir die Flanken unter dem Fell zitterten. „Was redest Du da für einen Unsinn! Was für eine Prankenmaus?“ fragte er schroff, doch seine Augen begannen schon zu leuchten bei der Vorstellung, wie er die riesige Prankenmaus ganz allein verspeisen würde. „Du meinst also, dieser Leckerbissen läuft hier in meinem Revier herum und will Deinem Großvater ans Leder? Dann muß sie ja wirklich riesengroß sein. Pass auf, dieses eine Mal werde ich Gnade vor Recht ergehen lassen und Dir nichts tun. Ich erlaube Dir sogar, mich auf der Jagd nach der Prankenmaus zu begleiten. Und wenn Du schön artig bist, laß ich Dir sogar ein Stück von ihrer Schwanzspitze übrig.“ Ich willigte ein und so machten wir uns auf die gemeinsame Suche.

Der Tag verging wie im Fluge, doch noch immer keine Spur von der Prankenmaus. Unterwegs fingen wir uns ein wenig Wegzehrung und suchten unentwegt weiter. Eben als die Sonne hinter dem Horizont versank und wir uns dem anderen Ende seines Reviers näherten, hielt mein Begleiter plötzlich inne. Er hielt die Nase hoch in den leichten Wind und spitzte die Ohren. Ich spürte es eher, als daß ich es wußte – wir waren nicht mehr allein. Dann – eine schnelle Bewegung in meinen Augenwinkeln versetzte mich in höchste Alarmbereitschaft. Auch der Dicke sprang wie von der Tarantel gestochen herum und da sahen wir sie leibhaftig, die Prankenmaus. Rotes Fell, schmale Schnauze, buschige Rute mit einer weißen Spitze – nun diese Maus sah anders aus als alle anderen, die ich zuvor gesehen hatte. Auch konnte ich mir nicht vorstellen, daß sie wirklich groß genug war, sich den Großvater ins Maul zu stopfen. Aber groß war sie schon!

Lange Zeit zum Nachdenken blieb nicht. Mein Kamerad stürzte sich mit lautem Fauchen auf den Gegner. Der wich geschickt aus. Aus dem Gebüsch näherte sich Verstärkung. Noch so eine Prankenmaus. Hier musste ein ganzes Nest sein! Im Nu fand ich mich mitten im Kampfgetümmel wieder, spürte die Bisse in meinem Fell, wie es an meinen Ohren riß, teilte aber auch ganz gut aus. Nach einer Weile ließen unsere Kräfte nach. Gott sei Dank schienen unsere Gegner das aber nicht zu bemerken. Im Gegenteil, ihre Gegenwehr wurde immer schwächer, und schließlich wimmerten sie so sehr, daß wir von ihnen abließen. Die Rotröcke taten uns sogar ein wenig leid, wie sie ihre einst so tollen Ruten unter ihrem Körper versteckten. Als sie merkten, daß wir den Kampf ein wenig ruhiger angehen ließen, nutzten sie sofort die Gelegenheit und flohen schnurstracks durch das Unterholz. Sie hatten ihre Lektion hoffentlich gelernt und verschwanden auf Nimmerwiedersehen!

Aus dem großen Festmahl ist nun leider nichts geworden. Wir waren selbst am Ende unserer Kräfte angelangt und glücklich darüber, daß die Prankenmäuse rechtzeitig von großer Furcht gepackt wurden und das Weite suchten. Unsere Beine konnten uns kaum noch tragen, so zitterten sie. Wie hätten wir da noch zwei so ausgewachsene Beutetiere mitschleppen können? Also waren wir es zufrieden und schwankten gemeinsam und stolz über unseren Sieg in Richtung Heimat. Ich verließ das Revier meines neuen Freundes und erreichte mit Mühe und Not eine verlassene Hundehütte im Hofe eines leerstehenden Hauses, die ich schon vor einiger Zeit entdeckt hatte. Sie bot mir Schutz vor Kälte und Regen, und auch ein wenig Sicherheit vor anderen herumstrolchenden Tieren, vor denen ich in meinem Zustand lieber meine Ruhe haben wollte. Im Nu fiel ich in einen tiefen Schlaf und merkte nicht einmal, wie die Sonne auf- und unterging und die Tage verstrichen.

Als ich wieder aufwachte, tat mir der ganze Körper weh. Aber ich fühlte mich wieder kräftig genug, mich auf den letzten Stück des Weges nach Hause zu machen. Gut, daß Großvater die Katzenleiter noch am Baum gelassen hatte. Schritt für Schritt, langsam eine schmerzende Pfote vor die andere setzend, erklomm ich den Baum, machte noch einen kleinen Sprung und erreichte den Balkon. Hier fühlte ich mich wieder sicher. Jetzt, wo ich, wenn auch mit etwas Hilfe, sogar zwei Prankenmäuse in die Flucht geschlagen und den Großvater gerettet hatte, konnte das Weihnachtsfest kommen.

Die Leere in meinem Bauch machte sich mittlerweile bemerkbar. Sein ungeduldiges Knurren war bis auf die Straße zu hören. Und so fing ich an, nach meinem Futter zu rufen: „Miii“.


von Jürgen Dührkop

Foto: Erika Schulz


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